Was einem so alles unterkommt: letzte Woche ruft mich meine Schwägerin an, sie hat Tickets für Maiden in Stuttgart, ob ich mitkommen will. Hm, also nur einzeln mit nem übrigen Ticket wär ich nicht hingegangen, aber als gemeinsame Unternehmung fand ich es dann doch interessant.
Hier will ich drei Tagebuchnotizen festhalten: zum Konzert selber, zu der Kategorie "Bands der ersten Stunde" und zum Format "Stadionkonzert".
Das Konzert selber war musikalisch, vom Sound und der Bühnenshow definitiv erste Klasse. Als Späteinsteiger ohne Jugenderinnerungen an diese Musik erlebe ich da zwar keinen Nostalgieflash, aber der Sound war klar und ordentlich, die Bands gut aufgelegt und das Gesamterlebnis professionell und erfreulich.
Der Job der Vorband ist natürlich bei so einem Konzert beliebig undankbar, die meisten Leute kommen ja ausdrücklich und sicher fast nur wegen der Hauptband. Ich hatte selber auch erst kurz vor knapp geschaut wer überhaupt spielt - andererseits standen in unserer Nähe immerhin zwei Herren im Avatar-T-Shirt.
Avatar also. Ich kannte die nicht und war angenehm überrascht und gut unterhalten. Sehr bunter Musikmix von rumpligem Death Metal bis zu langsameren, fast Varieté-mäßig melodiösen Stücken. Und eine sehr professionelle, durchchoreographierte, routiniert vorgetragene Bühnenshow mit passend, aber nicht uniformierten Klamotten, vielen synchronen Headbang-Runden der Gitarristen mit wirklich sehr langen Haaren, und so weiter.
Und natürlich einem Frontmann, der nicht nur den Sänger mit phänomenal breitem stimmlichen Repertoire vom Klargesang bis zu vielen verschiedenen Growls und Screams gab, sondern auch mit der Aura eines Zirkus- oder Varieté-Conferenciers aus alten Zeiten und mit einer Maske irgendwo zwischen Corpsepaint a la Abbath und schwarz-weißem Pierrot einen echten Entertainer auf die Bühne brachte, mit liebenswürdigen, teilweise etwas langatmigen aber freundlichen Ansagen. Auf deutsch, fehler- und fast akzentfrei vorgetragen mit dem Seitenhieb dass sein Deutsch zwar nicht perfekt ist aber definitiv besser als unser Schwedisch.
Da kriegt man durchaus Lust, sich die Truppe mal anzuschauen wenn sie selber Headliner sind.
Und was soll man zu Iron Maiden sagen? Die haben einfach abgeliefert. Musik ist ohnehin gut und legendär, die Auswahl war prima aus verschiedenen, größtenteils älteren Alben und mit vielen, aber nicht nur, Gassenhauern zum Mitsingen für alle. Sound war prima, laut und rund aber nicht zu laut.
Die Show bediente viele Erwartungen:
- ordentliches Bild auf den seitlichen Videoleinwänden (allerdings meistens "nur" einzelne Personen, so dass die Gesamtchoreo nur für Leute mit direktem Blick auf die Bühne sichtbar war)
- bühnengroße Videoleinwand statt Backdrop, mit vielen zum jeweiligen Lied passenden Animationen inspiriert von den Plattencovern oder Themen, und nicht zuletzt immer wieder Eddie in verschiedenen Kostümen in Szene gesetzt.
- Apropos Eddie: das berühmte Maskottchen zeigte sich auch zweimal leibhaftig auf der Bühne, einmal im Kostüm vom T-Shirtmotiv der Tour und einmal als The Trooper im roten Rock der britischen Kolonialsoldaten. Auf der Bühne weit weg zwar klein, im Vergleich zu den Musikern, die zwischen seinen Füßen herumkrabbelten aber doch beeindruckend riesig. Gut gemacht, in Zeiten von digitalen Tricks und KI generierten Filmen aber doch auch rührend old school und handgemacht.
Und als wichtigstes: die Musiker waren einfach routiniert und präsent, nicht zuletzt Bruce Dickinson, der mit immer wieder wechselnden Accessoires von Fliegermütze bis rotem Uniformrock links, rechts, unten und oben die Bühne entlangrannte und sicher einige Kilometer zusammengebracht hat.
Womit wir beim zweiten Stichwort sind, den Liveauftritten der Giganten der ersten Stunde. Das Format hat mich bisher nie so sehr gereizt, war mir auch dreistellige Beträge für einzelne Konzerte nicht wert (ich war eine Woche vorher für gleichviel Geld auf einem zweitägigen Festival - ok, da kam noch Übernachtung und Essen für zwei Tage dazu, aber es war schon mehr Musik fürs gleiche Geld).
Und bei aller Liebe finde ich es nicht so reizvoll, wenn man älteren Herren (in den "ersten Stunden" des Metal waren es ja nur Herren) zusieht wie sie sich mit Mühe auf die Bühne schleppen und letztlich doch mehr von den Erinnerungen an die eigene Jugend und die der Zuhörer:innen zehren als von der aktuellen Bühnenform.
Aber: bei Maiden waren diese Bedenken wirklich nicht angebracht. Natürlich hopsen diese Musiker nicht mit so viel überbordender Energie über die Bühne wie junge Metalcore Bands. Aber präsent, routiniert und schon mit einer gewissen Spielfreude und nicht nur abgezockter Professionalität standen sie alle auf der Bühne. Das war eine legendäre Profiband, aber keine müde Rentnerband.
Ich werd das Risiko nicht suchen, noch oft auf so teure Konzerte solcher Bandveteranen zu gehen, aber dieses Konzert reiht sich definitiv ein in die kurze aber schöne Liste von anderen "Bands der ersten Stunde", die ich auf Festivals mit ihrer Mischung von Gründungsmitgliedern und nachgerückten Musiker:innen der (über-)nächsten Generation schon gehört habe, wie Alice Cooper, Status Quo oder gerade erst letztes Jahr Judas Priest als Highlight (mit, für meinen Geschmack, einfach unschlagbar fetziger Musik) auf dem Rockharz.
Stichwort "Stadionkonzert": Ich war auf das Format sehr gespannt, denn diese Art Mammutkonzert einer der ganz großen Bands in einem Stadion oder ähnlicher Location hatte ich bisher noch nie. Nachdem wir nicht allzu weit hinten standen, hat es sich dann nicht soo anders angefühlt als bei einem Festivalheadliner ziemlich hinten zu stehen.
Das Publikum war bunter, also viele, aber nicht nur, ausdrückliche Metalheads und mehr "normale" Leute mit oder ohne Maiden T-Shirt. Vielleicht lag es auch daran, dass die Leute einiges dichter standen und teilweise leicht verwirrt waren, als sich sogar hinter dem Wellenbrecher gegen Ende ein spontaner Moshpit gebildet hat. In Summe wars aber vor der Bühne ebenso wie beim Gang durch eine halbe Stunde Regen vor dem Konzert und auf dem Heimweg eine angenehme Gesellschaft, wenn man von zwei oder drei Dränglern und Schubsern absieht die eindeutig zu oft ihre Bierbecher nachgefüllt hatten.
Mein Gesamtfazit zum Format ist: es war ein tolles Erlebnis und eine gute Erfahrung, ich muss das aber nicht ständig haben. Bei kleineren Konzerten, auch vor den Hauptbühnen der größeren Festivals, kann man (wenn man mag) einiges weiter vorne und näher dran sein und nicht so dicht gedrängt stehen. Das Preis-Leistungsverhältnis ist anderswo besser, aber manche große Bands gibts halt nur in diesem Format oder gar nicht, und so was einmal erlebt zu haben war's definitiv wert.
Und ich fühle mich bestärkt in der Vorfreude auf Headliner wie Gojira und Machine Head auf dem diesjährigen Summer Breeze oder ein Wiedersehen (so Gott will und wir leben) mkt Alice Cooper auf dem Rockharz nächstes Jahr.